Eva Lichtspiele

Blissestrasse 18
10713 Berlin
U Blissestrasse oder Bus 101, 104, 249
Tel.: 030 / 922 55 305
Wir zeigen heute,
Mittwoch, den 26.11.2025:


15:45 Eva:
Arrow Wir Wunderkinder (1958) ADF

18:00 Eva:
Arrow Lolita lesen in Teheran

20:30 Eva:
Arrow Stiller

Eintrittspreise

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Azar Nafisis Bestseller über ihr Leben im Iran

Lolita lesen in Teheran

mit einer grossartigen Golshifteh Farahani

... seit dem Bundesstart am 20. November in den Eva-Lichtspielen!

Mittwoch 26.11.
Donnerstag 27.11.
Freitag 28.11.
Samstag 29.11.
Sonntag 30.11.
Montag 01.12.
Dienstag 02.12.


Azar Nafisis Bestseller über ihr Leben im Iran – Eran Riklis inszeniert die Autobiografie der iranischen Exil-Autorin und Literaturwissenschaftlerin als Statement für den Mut zur geistigen Freiheit – eindringlich, klug und mit stiller, leicht düsterer Wucht.

Azar Nafisi kehrt 1979 gemeinsam mit ihrem Mann, dem Architekten Bijan Naderi, nach dem Sturz des Schahs voller Idealismus aus dem US-amerikanischen Exil in ihre Heimat zurück. Sie will an der Universität Teheran englische Literatur lehren, doch die neuen politischen Verhältnisse zerstören bald alle Hoffnungen. Immer stärker wird der Einfluss religiöser Fanatiker, die Freiheit von Forschung und Lehre ist bedroht und wird immer mehr unterdrückt. Als Azar Nafisi sich weigert, im Gebäude der Universität und in ihren Lehrveranstaltungen den Hijab zu tragen, wird sie suspendiert. Doch sie findet für sich selbst eine andere Möglichkeit zu unterrichten: In ihrer Wohnung schafft sie für ihre Studentinnen und mit ihnen gemeinsam – aber auch für sich selbst – einen geschützten Raum, in dem sie über Romane wie „Der große Gatsby“ oder „Lolita“, „Stolz und Vorurteil“ oder „Daisy Miller“ spricht, sie diskutiert und interpretiert. Bücher, die ihnen unter anderem auch dazu dienen, über Freiheit, Liebe und Konventionen nachzudenken.

Ein Wohnzimmer voller verbotener Bücher und sechs junge Frauen, die mit ihrer Professorin heimlich Klassiker der Weltliteratur lesen … sie alle wissen, wie gefährlich es ist, sich gegen das islamistische Regime zu stellen, das nicht nur Frauen unterdrückt, sondern auch mit rigiden Vorschriften das gesamte tägliche Leben beeinflusst. Die allermeisten halten still – bloß nicht auffallen! – und viele sympathisieren auch mit dem Regime. Azar Nafisi geht ihren eigenen, stillen Weg der Rebellion: Sie bleibt souverän, ihr Mut und ihre Furchtlosigkeit sind beinahe beängstigend, zumal sie nicht auf Naivität beruhen, sondern auf ihrer festen Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen und das Richtige zu tun. Azar Nafisi ist Literaturwissenschaftlerin, das Lesen gehört zu ihrer DNA, es ist selbstverständlich für sie, auch Texte oder Bücher zu lesen, die ihr fremd erscheinen oder die sie ablehnt, aber die Diskussion über Texte ist ein Teil ihres Lebens, ebenso die Weitergabe ihres Wissens.

„Lolita lesen in Teheran“ ist ein relativ leises, aber kämpferisches Plädoyer für Kunst- und Gedankenfreiheit. Der Film stellt die fundamentale Frage, warum Diktaturen so viel Angst vor Literatur haben – eine Frage, die sich in Zeiten weltweit wachsender Repressionen gegen Andersdenkende und angesichts von vielfältigen fundamentalistischen Tendenzen immer mehr stellt. Riklis gelingt es, aus Nafisis autobiografischer Geschichte ein universelles Statement zu formen: Wer liest, widersetzt sich. Im Zusammenhang mit den aktuellen Enwicklungen, in denen es offenbar akzeptabel geworden ist, Bücher zu verbrennen und Zensur zu üben, wirkt die Message dieses Films besonders eindringlich.

Golshifteh Farahani, die als Iranerin schon viele Jahre im französischen Exil lebt und dort eine bekannte Schauspielerin wurde, verkörpert Azar Nafisi mit einer beeindruckenden Mischung aus Intelligenz, Würde und unerschrockenem Mut. Ihre stille Kraft trägt den Film. Ihr Spiel vermeidet Pathos und zeigt eine Frau zwischen Wut und Resignation, zwischen Trotz und Verletzlichkeit, die sich ihre Gefühle nicht anmerken lassen will. Die sechs Studentinnen – allesamt ebenfalls von Exil-Iranerinnen gespielt – sorgen ebenfalls dafür, dass der Film authentisch wirkt. Einige ihrer Schicksale werden ausführlich beschrieben. Und auch wenn sie sich bemühen, sich nichts anmerken zu lassen, einige aus der Runde haben Verhaftungen und demütigende Untersuchungen, Folter und Misshandlungen hinter sich.

Eran Riklis inszeniert die Geschichte in klaren, fast asketischen Bildern ohne laute Farben. Die Farbgestaltung bleibt gedämpft, die Kamera beobachtet eher im dokumentarischen Sinne, statt zu kommentieren. So entsteht zusammen mit der vierteiligen Struktur – vier Kapitel, benannt nach vier Klassikern – und einer nicht ganz eindeutig linearen Handlung eine durchaus interessante Wirkung: Es liegt prinzipiell eine gewisse Düsternis und Beklemmung über dem Film, die eher selten aufgelöst wird. Das äußert sich dann besonders im Spiel von Golshifteh Farahani, die neben Angst und Wut auch immer irgendwie die Hoffnung auf bessere Zeiten in sich zu tragen scheint. Dabei hat Eran Riklis sehr auf Authentizität geachtet, die Wirkung ist enorm, so dass sich die Emotionen der handelnden Personen aufs Publikum übertragen. Die Enge des Lebens, insbesondere für Frauen, unter dem islamistischen Regime ist ebenso spürbar wie die Notwendigkeit, sich im eigenen Interesse und dem der Familie dem repressiven System zu fügen. Besonders eindrucksvoll sind aber auch die Passagen, in denen es so scheint, als ob Literatur lebendig wird – wenn die Frauen Szenen aus „Stolz und Vorurteil“ lesen und sich dazu zum Reigentanz formieren, dann scheint es für einige Momente, als wären Zeit und Raum unwichtig geworden: Es zählt nur noch der Text und der spielerische Umgang der Frauen damit.

„Lolita lesen in Teheran“ ist sicherlich kein leicht zugängliches Werk. Es erzählt von Angst, von Mut und vom unbeirrbaren Glauben an die Kraft der Worte und an die Freiheit der Gedanken. Eran Riklis verbindet politische Klarheit mit leiser Poesie, und Golshifteh Farahani ist schlicht großartig. Ein Film, der daran erinnert, welch große Rolle die Freiheit der Kunst in einer Gesellschaft spielt. Und wie wichtig es ist, den Diskurs über Texte, Bilder, Filme und Musik zu suchen, statt sie pauschal zu verurteilen.

Gaby Sikorski (programmkino.de)



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